
„Nun legen Sie Ihr Handy einmal zur Seite …“
Die Vintage- und Boho-Bilderflut in den sozialen Medien prägt aktuell die Wünsche der meisten Bräute. „Das birgt Gefahren, denn Abklatsch und handwerklicher Pfusch schaden unserem Berufsbild“, sagt Franz-Josef Wein. Er fordert dazu auf, individuelle Gegenvorschläge zu machen. Die Fotos zeigen die Auseinandersetzung mit dem Thema Brautstrauß und Brautschmuck an der Akademie für Naturgestaltung in der Praxis.
von Franz-Josef Wein, Saarlouis erschienen am 13.05.2024
„Es geht darum, der Braut unsere Kompetenz vor Augen zu führen, Ideen zu erklären und faszinierende Beispiele zu zeigen, die wirklich zur Braut passen.“ Franz-Josef Wein
Unser Beruf steht im Moment vor einer großen Herausforderung, wenn es um den passenden Brautschmuck für eine Hochzeit geht. Eine Flut von Bildern überschwemmt die sozialen Medien und wenn dann noch andächtig die Worte Boho oder Vintage gehaucht werden, ist die Braut mit ihren Freundinnen voll in ihrem Element. Häufig aber wird überhaupt nicht verstanden, wovon da wirklich die Rede ist. Es geht im besten Fall um Nachahmung, im schlechtesten um dümmliche Kopie – genau dazu laden uns die Medien ein. Die Welle, die uns erfasst hat, wird auch wieder abebben, kann uns aber auch wegspülen.
Natürlich muss man für neue Strömungen offen sein und Entwicklungen sorgfältig betrachten. Man sollte sich ihnen jedoch nur hingeben, wenn man sie inhaltlich mittragen kann. Wie in allen gestalterischen Bereichen geht es darum, seriös und gekonnt an ein Werk heranzugehen.
Für „Vintage“ genügt es nicht, ein vergilbtes Häkelbändchen, Eukalyptus und Blumen in getrübten Farben zu verarbeiten. „Boho“ heißt nicht, dass man Werkstoffe wild und ohne Können arrangiert. Schief ist noch lange nicht asymmetrisch, sondern wirkt meistens vor allem dilettantisch. Durch eine Protea und Pampagras wird das Ergebnis auch nicht gerettet.
Trends fachlich kompetent umsetzen
Das leidige Thema Gefärbtes wieder salonfähig zu machen, oder alles einfach zu trocknen, weil das Trend ist, zeigt uns die Abgründe, in die wir geraten können. So an Gestaltung heranzugehen, ist meist billig und gewöhnlich. Ich sage „meist“, denn es gibt auch Ausnahmen: wenn sich die Gestalter dem Thema mit Können und fachlicher Kompetenz nähern.
Zu echtem Vintage gehört das Aufstöbern eines Brautkleids aus einer lange zurückliegenden Kollektion der großen Modehäuser. Dazu würden wirklich alte Tischdecken der Großmutter und das Geschirr der Urgroßmutter passen. Dazu passt dann aber auch der Blumenstil der jeweiligen Zeit oder Epoche.
Boho kommt von Bohemien oder Boheme und meint eine „Halbwelt“, eine Welt, in der das Bürgertum auf Künstler, Ganoven und Prostituierte trifft. Eine Welt, in der man sich aus den Zwängen des langweiligen Bürgertums in die wilde Welt der Freiheit und Andersartigkeit begibt. Das ist eine Lebensart, wie sie zum Beispiel von den Hippies der 1960er-Jahre gelebt wurde und nicht einfach nur Maskerade. Boheme ist ein Statement und kein Spiel. Auch dazu gehört eine Blumenkultur, die wundervoll ist, aber dann wird eine Margerite zur Weltblume und ein bisschen Gras rauchen gehört auch dazu.
Eine echte Vintage- oder Boho-Braut ist ein seltener Glücksfall, in der Regel begegnet uns ein müder Abklatsch. Das ist nicht unser Problem, geht uns aber etwas an, wenn wir uns schlechtem Geschmack beugen und das Ergebnis handwerklicher Pfusch ist. Denn das steht im Widerspruch zu jeglicher Kompetenz unseres Berufs. Franz-Josef Wein
Wenn Floralien der vollkommen falschen Jahreszeit verwendet werden, dann ist das ökologisch und nachhaltig nicht zu vertreten. Und pflanzensoziologische Aspekte bei der Blumenkombination zeigen ein Verständnis von Natur. Solche Aspekte setzen wir aufs Spiel, wenn wir uns der oft verführerischen Bilderflut aus dem Netz einfach und kritiklos beugen.
Es gehört natürlich Mut dazu, einer Braut mit angeblich fester Meinung einen Gegenvorschlag zu machen. Es gehört Mut dazu, ihr darzulegen, dass man nicht bereit ist, jeden Firlefanz zu gestalten, nur weil sie die Auftraggeberin ist. Es gehört Mut dazu, sich selbst nicht zum Ausführer von Geschmacklosigkeiten zu machen, wenn man auch anders kann. Zu einer biederen Hochzeit passt nicht die Extravaganz der wundervollen gebrauchten Dinge und nicht die herrliche Wildheit einer unangepassten Persönlichkeit.
Wir müssen in diesen Fällen zu dem zurückkehren, was unsere Wurzeln sind und auch dazu stehen. Es geht um individuelle Beratung, um sorgfältiges Zuhören, was eine Braut wirklich will, es geht um wundervolle Vorschläge und darum, die Braut mit dem, was wir können, zu begeistern. Noch dazu dürfen wir nicht vergessen, dass es sie immer noch gibt, die Bräute, die Klassik lieben, die Natur faszinierend finden oder Opulenz mögen. Vielleicht sind die Bräute, die mit Abklatsch zufrieden sind, ohnehin für uns verloren, denn häufig soll alles auch noch preisgünstig realisiert werden. Dafür dürfen wir uns nicht verkaufen!
Bringen wir den Mut auf, einer Braut zu sagen: „Nun legen Sie Ihr Handy einmal zur Seite! Wir packen die ausgedruckten Kopien aus dem Internet für einen Augenblick weg und Sie fangen einfach einmal an, zu beschreiben und erzählen, was Sie sich für den schönsten Tag in Ihrem Leben erträumen!“
An der Akademie für Naturgestaltung ist perfektes Handwerk fester Bestandteil der Gestaltung. Es geht darum, Floralien anders als erwartet zu zeigen, wundervolle Farbigkeiten zusammenzustellen und dabei trotzdem die Natur hochleben zu lassen. So kann ein Brautstrauß aussehen, wenn alle Werkstoffe selbst gesammelt und gepflückt sind. Im Spätsommer verblassen die Farben der Floralien von Natur aus.
Hier sieht man, wie das Wissen um Farbe gekonnt eingesetzt wird: Violett, Rot-Violett und Rot in einem aufregenden Farbmengenverhältnis und dazu akzentuiert gelbliches Grün.
Textur ist ein wichtiges Thema gerade beim Brautstrauß. Die Stofflichkeit des Kleids, das Haar oder der Teint sollen aufgegriffen werden und können sich in ihrer Gesamtheit im Brautschmuck widerspiegeln.
Das Thema Textur kann auch reduziert eingesetzt werden. Damit wird die Aussage ruhiger und klassisch. Dieser Brautschmuck wäre auch eine sehr schöne Wintervariante.
Auch gänzlich trocken muss nicht vertrocknet wirken. Die Extremtextur glatt-glänzend-papierähnlich trifft auf matt-flauschig. Die reduzierte Farbigkeit lenkt das Augenmerk sofort auf die feinen Oberflächen.
Duftsträuße haben ihren Ursprung in der Renaissance. Der Brautschmuck soll nicht nur schön sein, sondern wunderbare Aromen verbreiten. Die Farbe Grün ist für das Thema perfekt.
Die Feinheit der Gestaltung wird durch die aufgehellten und hell getrübten Farbtöne noch gesteigert. Feinste Farbstellungen, gepflückt von der Wiese, dazu Gartenblumen – einfach ein wunderbarer Klang.
Perfektes Handwerk, wie es feiner nicht gestaltet werden kann, sieht man hier auf Anhieb. Das kann niemand, der nicht zu unserem Handwerk gehört.
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